AuDHS & Neuroqueer Theory Ressourcensammlung

Stand: 03.09.2024

CN: Infodump

Bitte beachtet meinen Background als Vorab-Hinweis/Disclaimer zu den Ressourcen.

Allgemeine Anmerkungen und Empfehlungen zu Ressourcen

Die meisten aktuellen und guten Ressourcen zum Neurodiversitäts-Paradigma und ADHS/Autismus sind leider auf Englisch.

Vieles, was man bei der ersten Google-Suche findet, ist veraltet, rein aus der Sicht von unreflektierten Neurotypischen (oder zumindest Allistischen) geschrieben und spiegelt oft nicht das wieder, was Betroffene erleben, insbesondere unter großem Masking.

Meidet wenn möglich Ressourcen, die nicht von Betroffenen selbst stammen. Vor allem viele Ressourcen und Organisationen der Marke „von nichtbetroffenen Verwandten für nichtbetroffene Verwandte“ sind fürchterlich. Das prominenteste Beispiel dafür ist die Organisation „Autism Speaks“ – rennt! Von dieser kommt auch das Puzzle-Symbol – wenn das irgendwo auftaucht bzw. als Symbolik von hiesigen Organisationen übernommen wird, sehe ich das inzwischen zumindest als Yellow Flag.

Es wird sehr viel grober Unfug in Bezug auf die Neurodiversitätsbewegung propagiert. Aussagen a la „die sprechen Menschen die Behinderung ab und verharmlosen alles einfach nur als Unterschied“ sind kompletter Unsinn und werden vor allem von Leuten weitererzählt, die sich damit nicht wirklich auseinandergesetzt haben. Ich halte einen Paradigmenwechsel für alternativlos. ADHS/Autismus-Traits können inherente Behinderungen sein. Autismus/ADHS pauschal als Störungen/Krankheiten zu framen – und somit zu implizieren, dass es sinnvoll wäre, uns alle zu „heilen“, führt hingegen zur Leugnung von Lebensrealitäten, Absprechen von Identitäten, Nichtreflektieren der Rolle von Neurotypischen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen – und missbräuchlichen Konversionstherapien wie etwa Applied Behavorial Analysis (ABA), die noch immer Gang und Gäbe sind und literally denselben Ursprung haben wie Konversionstherapien für Homosexualität.

Es handelt sich um Neurotypen mit Vor- und Nachteilen im Vergleich mit anderen Neurotypen.


Welche zu großen Teilen erbliche, von Geburt an existierende „Krankeit“/“Störung“ bringt denn bitte auch viele positive Traits mit sich? Das hat doch noch nie irgendwo irgendeinen Sinn ergeben. Wir leben in einer Welt, in der Menschen etwas wie „starkes Gerechtigkeitsempfinden“ pathologisieren, das ist doch ein einziger Clusterfuck. Dinge, die dieser Denkweise entspringen, inklusive Therapie etc., werden niemals die Grenzen dieser Denkweise überwinden und einen immer in diesem Käfig lassen. Das ist, als würde man auf Teufel komm raus versuchen, das Universum zu verstehen, während man noch dem geozentrischen Weltbild anhängt.

Wir sind in dieser Gesellschaft behindert – es ist wichtig, diesen Unterschied zu verstehen und zu betonen.

Eingehend damit: viele Quellen verbreiten die altbekannte pauschale Pathologie in kaum veränderter Form unter dem Deckmäntelchen der Begrifflichkeiten des Neurodiversitäts-Paradigmas. Wir sollten lernen, das zu durchschauen, zu hinterfragen und aktiv herauszufordern.

Cut through the noise.

Ressourcen

(Grundlagen) Begriffe rund um Neurodiversität:

Neurodiversity: Some basic Terms & Definitions von Dr. Nick Walker,
https://neuroqueer.com/neurodiversity-terms-and-definitions

(oder: „wo liegt der Unterschied zwischen neurodivers und neurodivergent“?)

Unmasking Autism von Dr. Devon Price

Unbedingte Empfehlung, falls ihr auch nur den Hauch einer Vermutung habt, dass „ADHS irgendwie noch nicht alles ist“.

Ergänzung:
Es gibt Pattern, bei denen ich inzwischen immer hellhöriger werde. Klassiker ist es, wenn Leute Diagnosemarathons hinter sich haben (irgendwas mit PTSD, Borderline, Depressionen, sehen sich als hochsensibel, von einer Therapie zur nächsten, aber irgendwie passt alles noch nicht so 100% und sie sind seit Jahren noch immer auf der Suche, oft weiblich sozialisiert) – und dann kommt noch irgendwie ein ADHS-Verdacht dazu, dann ist das Masked Autism-Bingo komplett.

Das Buch zielt, wie der Titel vermuten lässt, hauptsächlich auf high masking Autist:innen. Für diese Gruppen eine unbedingt Empfehlung als Einstiegslektüre!

Für bspw. nicht sprechende Autist:innen hingegen gibt’s vermutlich bessere Ressourcen. Diese sind nicht primäre Zielgruppe des Buches und könnten sich ggf. dadurch nicht gut repräsentiert fühlen. Das Buch ist nicht perfekt, bspw. wird der Begriff neurodivers gerne auch mal für Einzelpersonen verwendet.

Neuroqueer Heresies von Dr. Nick Walker

Ganz viel zum sozialen Modell der Behinderung und dessen Implikationen. Für mich persönlich Life Changing. Eine der wichtigsten Quellen, wenn nicht gar das wichtigste Buch, das ich jemals gelesen habe. Ich habe noch nie so viel bei einem Buch weinen müssen.

Bitte lest dieses Buch, wenn ihr irgendwie neurodivergent seid oder mit neurodivergenten Menschen zu tun habt!

Die meisten der Writings (aber nicht alle) findet man auch auf https://neuroqueer.com – ich empfehle dennoch das Buch für den zusätzlichen Kontext.

Ein Writing habe ich oben bereits bezüglich der Definitionen verlinkt. Ich empfehle stark, mindestens noch ein weiteres zu lesen:
Throw away the Master’s Tools – Liberating ourselves from the pathology paradigm, https://neuroqueer.com/throw-away-the-masters-tools/

Nick Walker hat auch die Neuroqueer Theory hervorgebracht (siehe unten).

Monotropismus

Monotropismus ist eine in der autistischen Community sehr populäre Theorie, wie autistische Aufmerksamkeit funktioniert:
https://monotropism.org/
(klickt nicht auf die dt. Übersetzung, die ist maschinell erstellt und qualitativ schlecht)

ADHD and Monotropism
https://monotropism.org/adhd/

Monotropism Questionnaire
https://dlcincluded.github.io/MQ/

Video dazu von I’m Autistic, Now What?
https://www.youtube.com/watch?v=3mBbOOzhoGQ

Kinetic Cognitive Style (KCS)

KCS ist ein potentielles Reframing für ADHS. Imho resoniert dieser Begriff deutlich mehr damit, wie ich meine kinetische Seite erlebe, als es der in sich bereits rein pathologische Begriff „ADHS“ tut.
https://stimpunks.org/2021/08/27/kinetic-cognitive-style/

Neuroqueer Theory

Es gibt, neben anderen Dingen, größere Overlaps zwischen (Gender-)Queerness und Neurodivergenz. Das liegt unter anderem daran, dass viele der ungeschriebenen geschlechtsspezifischen Normen von Neurotypischen für viele von uns schlicht keinen Sinn ergeben.

Neuroqueer Theory ist eine Anwendung der intersektionalen Queer Theory und dem Neurodiversitäts-Paradigma. Das Verb neuroqueeren bedeutet, sowohl die cis-hetero-Normativität, als auch die Neuro-Normativität herauszufordern und sich davon zu befreien.

Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, dass Neuroqueer Theory in den nächsten Jahren vermutlich so einigen Fortschritt machen wird.

Neuroqueer Theory: An Introduction
https://neuroqueer.com/neuroqueer-an-introduction/

Toward a Neuroqueer Future
https://neuroqueer.com/wp-content/uploads/2021/07/Walker-2021-Toward-a-neuroqueer-future.pdf

Wikipedia-Eintrag zu Neuroqueer Theory
https://en.wikipedia.org/wiki/Neuroqueer_theory

Beziehungen, Sexualleben und Kink

Neurodivergenz beeinflusst das komplette Leben und kann somit unweigerlich auch einen weitreichenden Einfluss auf das Sexual- und Beziehungsleben haben. Nicht-„traditionelle“ Beziehungsformen, Polyamorie, Kinks. Leider sind das meist Tabuthemen. Das taucht in kaum einem Ratgeber auf und nur wenige, die mit Neurodivergenten arbeiten, haben das überhaupt auf dem Schirm. Da diese eklatant klaffende Lücke ein himmelschreiendes Loch im breiteren Wissen über Neurodivergenz ist, möchte ich das an dieser Stelle zumindest erwähnen – das Thema ist jedoch zu groß für einen Rundumschlag an dieser Stelle.

Dennoch möchte ich hier einen Shoutout machen:

SMJG

SMJG e.V. als gemeinnütziger Verein, der im deutschsprachigen Raum Jugendarbeit (d.h von 14. bis 27 Jahren) im Bereich BDSM und Sexualaufklärung betreibt. Derlei Vorlieben sind sich junge Menschen oftmals bereits in sehr jungen Jahren bewusst, fühlen sich aber meist falsch und unnormal und haben keine Ansprechpartner:innen, was zu weiterem Masking auch im Bereich Sexualität und Beziehungen führt. In der Schule, der Familie etc. wird dies nicht besprochen. Die SMJG bietet jungen Menschen einen geschützten Raum, um sich mit Gleichaltrigen über diese Themen auszutauschen. Es gibt in den meisten größeren Städten regelmäßige Stammtische, ein moderiertes Forum, einen moderierten Chat, ein Sorgentelefon, mehrmals jährlich Communitytreffs undundund. Ich habe selbst bereits einen ADHS-Gesprächskreise im Zuge eines Communitytreffs organisiert.

Es treiben sich dort so einige neurodivergente Menschen rum, auch wenn der Schwerpunkt nicht auf Neurodivergenz liegt. Der Verein ist zudem von jungen Menschen für junge Menschen selbst organisiert. (Heißt auch: Sensibilität für Neurodivergenz, Trauma etc. ist definitiv höher als im Bevölkerungsschnitt, aber natürlich auch von den Menschen abhängig!)

Ich habe der SMJG sehr viel zu verdanken und leider viel zu spät entdeckt.

Für Erwachsene gibt es den SMJG Alumni, der alterstechnisch nach oben offen ist. Man muss nicht in der SMJG aktiv gewesen sein.

Weitere Online-Ressourcen

Stimpunks
https://stimpunks.org/
Eine Schatzgrube an Informationen

Facts, Fire, and Feels: Research-Storytelling from the Edges
https://stimpunks.org/research
Über Reframing in der Forschung gegen einen kaputten Status Quo

Social Media Ressourcen

I’m Autistic, Now What?
https://www.youtube.com/@imautisticnowwhat
Super sympathischer Youtube-Channel rund um Autismus / AuDHS

Autistic AF
https://www.youtube.com/@Autistic_AF
AuDHS Content 🙂

Interessantes Gedankenspiel, was herauskommt, wenn man „neurotypisch“ genauso als Störung framed, wie es bei Autismus/ADHS getan wird
https://www.youtube.com/watch?v=nf0OVpfUbgc

Diverse Animationsvideos des Youtube-Kanals illymation, bspw. Times I should have realized I was autistic
https://www.youtube.com/watch?v=i3Vy2BPmMS4

Avoiding Toxic Productivity Advice for ADHD von ADHD Jesse
https://www.youtube.com/watch?v=JsT3KPYJFl4

The Neurodivergent Collective
https://www.instagram.com/the.neurodivergentcollective/


Eigenwerbung

Von Baumkletterern und Fischen (oder: warum ein konsequentes Neurodiversitätsparadigma die Probleme neurodivergenter Menschen nicht verharmlost)

– Your flamingly Autistic, neuroqueer rainbow butterfly cat Luux 🔥